„Es kömmt drauf an.“

IG Metall/Haus am Lützowplatz, solo, 2014

Andrea Pichl – Es kömmt drauf an.

Andrea Pichls Installation „Es kömmt drauf an.“wurde für den Ausstellungsraum der IG Metall entwickelt. Als konzeptionellen Ausgangspunkt wählte die Künstlerin eine Architektur, die zu den bedeutendsten Beispielen des russischen Konstruktivismus zählt: Konstantin Melnikovs 1927–29 errichteten Rusakov-Arbeiterclub in Moskau. In Form einer Kreidezeichnung übertrug sie maßstäblich verkleinert den Grundriss des 3. Stocks dieses Gebäudes in den Ausstellungsraum. Damit stellt Andrea Pichl nicht nur einen formalen Bezug zu dem architektonischen Kontext von Erich Mendelssohns im ähnlichen Vokabular entworfenen „Haus des Deutschen Metallarbeiterverbandes“ von 1929–30 her, auch inhaltlich gibt es Parallelen zwischen dem Gewerkschaftshaus aus der Zeit der Weimarer Republik und der Serie der sowjetischen Kulturclubs aus den 1920er Jahren, in denen sich erstmals eine eigene Architektur für die Arbeiterklasse manifestierte. Beide Fälle repräsentieren sogenannte „sprechende Architekturen“, die mittels formaler Elemente auf ihre jeweilige Nutzung verweisen. Mendelssohns Bau ist auf dem Grundriss eines Zahnradfragments entworfen, während Melnikov die drei Ausbuchtungen, bei denen es sich um auskragende Zuschauertribünen eines Theater- bzw. Kinosaals handelt, als „schwellende Muskeln“ verstand, um gleichsam die Kraft des Geistes zu beschwören.

Die Einschreibung des Grundrisses des Arbeiterclubs dient Andrea Pichl auf einer zweiten Ebene als Raster für die Errichtung einer eigenen, künstlerisch motivierten Architektur. Dazu verwendet sie verschiedene Betonelemente aus dem Baumarkt, die vorwiegend zur Einfassung von Beeten verwendet werden, sowie Fenster, Türrahmen, Gehwegplatten und Treppengeländer, die sie aus einem verlassenen DDR-Plattenbau in Storkow für die Ausstellung sicherstellte. Das Sammeln und Neukombinieren von Elementen genormter Architektur gehört zu den zentralen Themen der Künstlerin, denen sie in immer neuen Aspekten nachgeht. Sie versteht ihre Installation, zu der im Übrigen noch die bereits vorhandene Arbeit Wegvon 2012 aus tapeziertem und durchlöchertem Rigips samt konserviertem Schutt gehört, als körperlich zu erfahrenden Eingriff in die Architektur des Ausstellungsraums. Ganz bewusst stellt sie der ikonischen Architektur Mendelssohns ein extrem banales Vokabular von Bauformen gegenüber, das der Mensch zur eigenen Zurichtung entworfen hat.

Ein Hinweis auf die Arbeitsmethode der Künstlerin gibt auch der von ihr gewählte Titel der Installation: „Es kömmt drauf an“ist eine Formulierung aus der elften Feuerbachthese von Karl Marx und zwar in der 1845 handschriftlich niedergelegten Version. Bekannter ist jedoch die Fassung, die aus der Bearbeitung von Friedrich Engels hervorging und die 1953 ins Foyer der Berliner Humboldt Universität gemeißelt wurde: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Engels veränderte nicht nur die veraltete Schreibweise des Verbs „kommen“, sondern fügte dem Textmaterial eine entscheidende neue Wendung hinzu. Und zwar entsteht durch das „aber“ zwischen den beiden Satzteilen ein agitatorischer Gegensatz zwischen Denken und Welt, zwischen Reflektion und Handeln, der bei Marx noch nicht so angelegt war.  Marc Wellmann

Marc Wellmann

Andrea Pichl – Es kömmt drauf an.

Andrea Pichl’s installation Es kömmt drauf an.(The point is.) was created especially for the IG Metall exhibition space. As a conceptual starting point, the artist chose one of the most significant examples of Russian Constructivist architecture: Konstantin Melnikov’s Rusakov Workers’ Club, built in Moscow between 1927 and 1929. Pichl scaled down the layout of the third floor of Melnikov’s building and transferred it to the exhibition space in the form of a chalk drawing. The work creates a formal connection to the architectural context of Erich Mendelsohn’s House of the German Metalworkers’ Federation of 1929–30, which used the same design vocabulary. There are also thematic parallels between the union building dating from the Weimar Republic and the series of Soviet cultural clubs of the 1920s, in which a distinct architecture for the working class manifested itself for the first time. Both are examples of architecture parlante(speaking architecture), which explains its own function by means of its form. Mendelsohn’s building is designed to resemble a fragment of a gear wheel, while Melnikov saw his three cantilevered projections—theater auditorium seating areas—as “tensed muscles,” conjuring up the power of the spirit.

            The inscription of the floor layout of the Workers’ Club is, on a second level, an outline in which Pichl constructs a distinct, artistically motivated architecture. She uses various concrete elements from a hardware store that are normally used to edge flower beds, along with windows, door frames, paving slabs, and banisters secured for the exhibition from an abandoned GDR-era prefabricated building in Storkow. Collecting and combining elements of standardized architecture in new ways is central to the artist’s practice. She perceives her installation—which also includes Weg(2012), a work made from papered plasterboard with holes, complete with preserved rubble—as a physical engagement with the architecture of the exhibition space. She deliberately contrasts Mendelsohn’s iconic architecture with an extremely banal vocabulary of structural forms that we have developed to suit our own needs.

            The artist’s title for the installation also gives an indication of her working method: “Es kömmt drauf an” is a phrase from the 1845 handwritten version of Karl Marx’s Theses on Feuerbach. More widely known, however, is Friedrich Engels’s phrase that was engraved in the entrance hall in Berlin’s Humboldt University in 1953: “Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern” (The philosophers have only interpreted the world in various ways; the point, however, is to change it). Engels not only altered the outmoded spelling of kommt, he also gave a decisive new twist to the wording of the text. The insertion of aber(however) between the two parts of the sentence engenders an opposition between thought and world, between reflection and action, that was not evident in Marx. 

Marc Wellmann, Artistic director, Haus am Lützowplatz, Berlin

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